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Jowood versucht sich in Drohung und Zensur


Gast Elikal
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Viele haben es sicher schon gehört, für andere hier der aktuelle Artikel aus der Powerplay 12/2006. Da es in vielen Foren abgeruckt wurde und die Powerplay sicher auch ein Interesse hat, dass viele das wissen, ist es wohl ok. Es geht hier mal um "höhere Rechte".

Da kann dann jeder mal drüber meditieren, wem er künftig sein Geld geben will. Man mag von G3 halten was man will, aber die Presse- und Meinungsfreiheit hat ja wohl vor allem anderen Vorrang. IMO.

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Kompletter Artikel aus PCP 12/2006

Die Akte Jowood

Gothic 3 wissentlich trotz schwerer Bugs zu veröffentlichen, ist eine Frechheit. Richtig dreist wird es, unliebsame Berichterstattung durch Drohanrufe und Zensur verhindern zu wollen.

Redaktion PC PowerPlay, Donnerstag, 21. September 2006, 14:55 Uhr. Der Anrufer ist sauer, stinksauer. Wir hätten sein Spiel »kaputtgemacht«, beschimpft er uns. Er werde alles unternehmen, damit unser Heft die Druckerei nicht verlässt und nicht an die Kioske kommt. Er werde uns sämtliche Anzeigen entziehen, das werde auch sein Vertriebspartner machen. Und er werde sämtliche Firmen in der Spielebranche dazu bringen, das gleiche zu tun. Unseren Einwand, er würde das Spiel durch eine verfrühte Veröffentlich selber kaputtmachen, will er gar nicht mehr hören: Er legt auf.

Der Anrufer ist der Marketing Director der Jowood Productions Software AG. Da unser Heft noch nicht am Kiosk ist, kennt er zwar nicht den Inhalt, wohl aber die Titelseite: Einige unserer Abonnenten haben ihr Heft bereits bekommen und die Covertexte online gestellt, die sich im Internet wie ein Lauffeuer verbreiten. Unter anderen im Gothic-Fanforum Worldofgothic.de, das später noch eine wichtige Rolle spielen wird.

Unser Titeltext, um den es beim Telefonat geht: »Im Test durchgefallen: Warum Gothic 3 eine Riesenenttäuschung ist!« Und weiter: »Bug-Skandal: Wir decken die Fehler auf – und sagen, wie es weitergeht«.

Unser Freund, der Anwalt

Am gleichen Nachmittag klingelt erneut das Telefon. Diesmal ist es ein Rechtsanwalt, er vertritt die Belange der Jowood AG. Der Jurist ist deutlich freundlicher, wir fühlen uns ein bisschen wie bei »guter Bulle, böser Bulle« in Fernsehkrimis. Der Herr Marketing Director sei sehr wütend, sagt er.

Ach nein, sagen wir.

Der Anwalt weiter: Sein Geschäftsführer sei ebenfalls sehr aufgebracht. Und das sei nicht gut, er würde ihn gerne beruhigen. Wir hätten doch sowieso keine Chance gegen eine Einstweilige Verfügung, die würde er vor Gericht locker durchbringen, um die Auslieferung unseres Heftes in die Läden zu stoppen. Dies könnten wir höchstens verhindern, wenn wir die beiden Titelzeilen auf sämtlichen Heften durch Schwärzen unlesbar machen, bietet uns der Rechtsanwalt an.

Wir lehnen dankend ab.

Rückzieher

Zur Erklärung: Eine Einstweilige Verfügung dient der einstweiligen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Sie wird vom Antragsteller bei Gericht eingereicht, und gleichzeitig dem Gegner (also uns) per Gerichtsvollzieher zugestellt.

Doch statt des Gerichtsvollziehers kommt noch am gleichen Tag um 19:29 Uhr eine E-Mail vom Anwalt, in deren rund anderthalbseitigem Anhang er weiter droht. Ein Auszug: »Da uns dieser Stil nicht gefällt und Sie offensichtlich auf Kosten von Jowood handeln, nämlich aufgrund dessen ein Teil der Leser der Schlagzeile das Produkt nicht kaufen wird, beabsichtigen wir, in noch feststellbarer Höhe Schadensersatzansprüche gegen Ihr Haus geltend zu machen, sollte es zu einer weiteren Auslieferung kommen.«

Im nächsten Absatz ist seine Zuversicht allerdings verschwunden, die zuvor am Telefon angekündigte Einstweilige Verfügung locker durchzubringen: »Offensichtlich lässt sich die morgige Auslieferung an die Zwischenhändler von uns rechtlich – aufgrund der kurzen Frist – nicht mehr stoppen, wir behalten uns jedoch vor, ggf. einstweilige Verfügungen gegenüber Ihre Abnehmer rechtlich noch durchzusetzen, sollten wir von der tatsächlichen Auslieferung erfahren.«

Wir liefern die Hefte trotzdem aus.

Einladung zum Met-Trinken

Freie Berichterstattung? Nein danke!

Als wir im Juni 2006 eine Titelstory zu Gothic 3 planen, erlaubt Jowood lediglich zehn vorgefertigte Screenshots. Einen davon sehen Sie hier, die restlichen sechs hätten ähnliche Kampfszenen gezeigt, aber nichts vom eigentlichen Spiel. Eigene Bilder oder gar Filmmaterial sind verboten – ungewöhnlich für ein Spiel, das bald in die Läden kommt. Uns ist der Informationsgehalt der potenziellen Titelstory schon jetzt zu dünn. Als der Publisher noch verlangt, den Artikel vorab »inhaltlich auf Richtigkeit zu prüfen und freizugeben«, sagen wir endgültig ab.

Noch am gleichen Tag zieht unser Artikel über die schriftlich von Jowood freigegebene Testversion weite Kreise. Im Forum von Jowood sowie auf der Fanseite www.worldofgothic.de betreiben die Community Manager Schadensbegrenzung. »PC PowerPlay kann gar nicht richtig getestet haben«, heißt es da unter anderem, »die hatten eine viel ältere Version vorliegen.«

Besonders mutig ist Community Manager »CrazyIvan«, er schreibt ebenfalls am 21. September, um 20:12 Uhr: »Jedes Mitglied der Community, das in der Verkaufsversion einen reproduzierbaren A-Bug findet, der auf Gothic 3 und nicht auf sein System zurückzuführen ist, wird von mir auf ein Wochenende in ein Schaukampflager eingeladen, verköstigt, trainiert und – falls volljährig und interessiert – mit Met ins Nirvana geschickt.«

A-Bugs sind übrigens keine Kleinigkeiten, sondern Systemabstürze und so genannte Blocker, die ein Weiterspielen verhindern (etwa eine Hauptstory, die nicht weitergeht, ein unbesiegbarer Endgegner, aber auch Zerstören von Spielständen). Und CrazyIvan hat mittlerweile viele Einladungen verschickt, wie er im gleichen Forum zugibt. Doch es kommt noch »besser« ...

»Das ist scheisse«

Machen wir einen kleinen Zeitsprung. Gothic 3 erscheint am Freitag, dem 13. Oktober. Am Mittwoch darauf sind bereits über 150.000 Exemplare verkauft, und Jowoods Geschäftsführer jubelt im hauseigenen Newsletter: »Wir sind überwältigt von der großen Community, die sich in den ersten Tagen auf Gothic 3 stürzte und ich möchte mich persönlich bei all jenen bedanken, die sich nicht von Negativstimmen beeinflussen ließen und der Gothic-Serie die Treue hielten.«

Weitere fünf Tage später meldet sich so eine Negativstimme, nämlich die von Firmengründer und Entwickler Mike Hoge von Piranha Bytes, ebenfalls auf Worldofgothic.de. Er klingt ganz anders als sein eigener Publisher: »Dass G3 beim Release unfertig war, ist scheiße. Dass sich die Leute darüber aufregen, ist berechtigt. Uns war klar, dass G3 beim Release nicht bugfrei sein würde, aber der Umfang der Probleme, die wir noch in der Goldmaster-Version haben würden, wurde von uns unterschätzt.«

Wütender Papiertiger

Unterschätzt, aha. Mal wieder. Denn auch Gothic 2 war bei Erscheinen voller Bugs (wenn auch nicht extrem), auch damals gab Piranha Bytes Fehler zu. Auch damals war Jowood der Publisher, auch damals dauerte es Monate, bis Gothic 2 zum hervorragenden Rollenspiel wurde. Daraus gelernt hat niemand. Wozu auch? Offensichtlich verkaufen sich mangelhafte Produkte ganz hervorragend – wenn man schon im Vorfeld gegen missliebige Stimmen vorgeht.

Denn nicht nur wir wurden von Jowoods Marketing Director angegangen: Wie wir erfahren haben, bekam auch ein großes deutsches Online-Magazin (der Name liegt uns vor) einen aggressiven Anruf. Auch hier kündigte der Herr Director an, keine Werbung mehr zu schalten. Auch hier tobte er, dass das Magazin »Gothic 3 in böswilliger Art kaputtschreibt«. Und ging noch weiter: »Da arbeiten über 40 Leute Tag und Nacht an Gothic 3. Die hassen Sie jetzt alle!«

Warum? Weil das Online-Magazin eine kritische Preview veröffentlicht hatte. Auch andere Zeitschriften und Webseiten nehmen kein Blatt vor den Mund, monieren die vielen Bugs in der (schon gepatchten) Verkaufsversion. Computer Bild Spiele gibt lediglich ein »befriedigend« und schreibt: »Die größten Fehler werden mit dem Patch beseitigt, doch von Fehlerfreiheit ist das Spiel auch dann noch meilenweit entfernt.« Stern.de sagt lapidar: »Auch wenn’s im Regal steht: Gothic 3 ist nicht fertig – noch lange nicht.« Und T-Online nennt das Spiel einen »spielbaren Flickenteppich«. Auch das Online-Magazin 4Players.de macht in seiner aktuellen Spielkulturreihe »Der kritische Herbst« auf Missstände und Konsequenzen im Rahmen unliebsamer Wertungen aufmerksam.

Da muss der Herr Director also noch etwas üben mit seinen Drohanrufen.

Zensierte Zensur

Offensichtlich wusste Jowood schon lange vor dem Veröffentlichungstermin von den Gothic-Mängeln. Als wir im Juni 2006 eine große Vorschau über das Spiel machen wollen, bietet uns Jowood einen Vor-Ort-Termin in Bochum an. Für eine Titelgeschichte, so das Angebot, dürften wir »ausgewählte Abschnitte« spielen. Mitfilmen allerdings nicht, eigene Screenshots anfertigen ebenfalls nicht. Stattdessen bietet uns Jowood zehn vorgefertigte Bilder an. Die ersten fünf davon sehen Sie hier: alle sind ähnlich, für eine Titelstory völlig ungenügend.

Als Jowood auch noch darauf besteht, unseren Artikel vor Veröffentlichung auf »inhaltliche Richtigkeit zu prüfen und freizugeben«, sagen wir ab – wir lassen unsere Artikel grundsätzlich niemals nie nicht von Publishern oder Entwicklern absegnen.

Ärger mit der Mogelpackung

Dass Jowood gegen kritische Berichterstattung vorgeht, ist nichts Neues. Bereits in unserem allerersten Heft (12/2004, Seite 150, »Vorsicht, Mogelpackung«) monieren wir bei Jowoods Ski Racing 2005 die schlechtere Grafik, miese Steuerung, den unfairen Schwierigkeitsgrad und fehlendes Flair – und empfehlen stattdessen Ski Alpin 2005 von Publisher RTL. Auch da gibt’s riesigen Zoff, auch da droht Jowoods Marketingmann, auch da fordert er Wiedergutmachung, schickt sogar eine Excel-Tabelle: Hier hat er detailliert aufgeführt, wann PC PowerPlay zu welchem Jowood-Spiel wie viele Seiten und Titelgeschichten zu machen habe. Aber nicht nur wir: Auch unsere Schwestermagazine Games Aktuell, OPM2 und Play the Playstation bekommen Artikellängen und die Coverthemen detailliert vorgeschrieben.

Alle vier Hefte lehnen natürlich ab.

Wie geht’s weiter?

Natürlich könnten wir in Zukunft Titel von Jowood »aus Rache« ignorieren oder schlechter bewerten. Werden wir aber nicht. Schließlich können Spiele sich ihren Publisher nicht aussuchen, und wir wollen Ihnen immer unabhängige Informationen und Kaufberatung aus erster Hand geben. Auch bei Gothic 3: Wenn das Spiel endlich weitgehend fehlerfrei sein wird, bekommt es auch eine entsprechend hohe Wertung. Aber eben erst dann – Potenzial alleine reicht uns nämlich nicht. Bleibt die Hoffnung, dass Piranha Bytes weiter an Patches arbeitet und nicht bereits komplett am Addon, das noch 2007 erscheinen soll. Wir sind gespannt, wann dann das Telefon klingelt ...

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